Julius Hübner                            1873

1806 – 1882

 

Lenzahnung

 

Ach, altes Herz, ahnst du noch einmal wieder

Des nächsten Frühlings ganze Herrlichkeit?

Erwacht ihr, Klänge der Vergangenheit,

Und steigt empor als Zukunfts-Lerchenlieder?

 

Sinkt Himmelsseligkeit zur erde nieder

Und tilgt des langen Winters Weh’ und Leid,

Hebt dich noch einmal über Raum und Zeit

Melodisch auf der Dichtung Schwangefieder?

 

Ja, gieb dich hin urmächtig heil’gem Triebe,

Laß froh die Seele frei im Blauen schweben,

Zur Ewigkeit dein ganzes Sein sich heben.

 

Im warmen Herzen throne hoch die Liebe,

Die Hoffnung blicke lächelnd still nach Oben,

Und Glaube soll den ew’gen Vater loben.

 

 

 

Schlummergott

 

Wer bist du, sanfter Geist, der mich begrüßt,

So oft mir naht mit schmeichelnd süßem Kosen,

Das Haupt bekränzt mit dunklen Schlummerrosen,

Mit leisem Lied die Muse mir versüßt?

 

Wenn mich des Alters öder Weg verdrießt,

wenn Schicksalsstürme durch die Lüfte brausen,

Klingt hold dein Schlummerlied durch Angst und Grausen,

Bis sich mein müdes Auge willig schließt.

 

Du neigst dein Antlitz lieblich über mich,

Dein sanfter Odem kühlt das wunde Herz,

In milder Dämmerung erlischt des Lebens Schmerz.

 

Dann senkst du lächelnd den Mohnblumenstengel,

In süßem Traum erkenn’ ich endlich dich –

Du Schlummergott, nun bald mein Todesengel

 

 

 

Schön

 

Das Wörtlein „schön“ kommt von dem Worte „schauen“

Das Beste, was zu schauen, das ist schön,

Der Wunderschein, den nur die Augen seh’n,

Der nur dem Blicke sich will anvertrauen.

 

Geheimnißoffenbarung, Morgengrauen

Der Geistersonne, Gottesodemweh’n,

Ein Meer von Wonne, unter d’rin zu geh’n

Ein Himmel, zu versinken tief im Blauen.

 

Zu seh’n sucht hier das unaussprechlich Reine

Mein Blick, der Sehnsucht unerreichtes Ziel,

In aller Erdenschönheit holdem Spiel.

 

Wird Form und Farbe eins, Licht, Klang und Töne,

Wo Alles eint das höchste ewig Eine,

Dann ist das ew’ge Schau’n das ewig Schöne.

 

 

 

Unsichtbarer Freund

 

O könntest du mich Unsichtbaren schauen,

Ich zeigte dir geheime Wunderschätze,

Erinnerungen an die lieben Plätze,

Wo wir zusammen einst in Wald und Auen.

 

Wenn Abendschatten auf die Erde thauen,

Dann weil’ ich dort, daß ich mich still ergötze,

An der Vergangenheit die Seele letze,

Mir luft’ge Zukunftsschlösser d’raus zu bauen.

 

Von undurchdringbar dichtem Bann umgeben,

Weil’ ich entzückt in wundervoller Stille

Und leb’ ein selig reines Geisterleben.

 

Mir wuchsen Schwingen, die mich aufwärts heben,

Zu Boden sank die irdisch schwere Hülle,

Verklärt zum ew’gen Aether durft’ ich schweben.

 

 

 

Rosenknospe

 

Sprich, Rosenknospe, wer hat dich geweckt,

Daß du erstrahlst in voller Purpurblüthe,

Wie Morgenroth am Himmel hell erglühte,

Den eben noch die bleiche Nacht bedeckt?

 

bist du von Amor’s Fackel angesteckt,

Ein Liebestraum, den Lenzmacht süß verfrühte,

Der in der Jungfrau kindlichem Gemüthe

Zu holder Scham der Wangen Purpur weckt?

 

Mit seinem Pfeil hat dich der Gott berührt,

Der noch von tiefen Liebeswunden roth,

Wie man’s an deinen Rosenlippen spürt.

 

Wer so dich sieht, fühlt Liebes-Lust und Noth,

Lebt, in der Liebe Himmelreich entführt,

Stirbt in der Liebe Armen süßen Tod.

 

 

 

Adonisklage

 

In jedem Jahr zur Sommer-Sonnenwende

Erneuert sich die ernste Todesfeier,

Beim dumpfen Klang der Cymbel und der Leier,

Um des Adonis allzufrühes Ende.

 

Die Nymphen ringen wund die weißen Hände

Um den geliebten holden Venusfreier,

Um seiner Göttin Schmerz so ungeheuer,

Und weihen ihm der Blumen Todtenspende.

 

So sinkt die Sonne von des Jahres Höhen,

So fällt die Blüthe von dem Kelche ab,

So welkt das Blatt, das grüne Gras wird Heu.

 

Auf ewig wechselt so Entsteh’n, Vergehen,

Des Lebens Herrlichkeit versinkt im Grab

Und fluthend wallt des Daseins Strom vorbei,

 

 

 

Rosenklage

 

Rose, wo bist du, o Holde, geblieben?

Sehnend such’ ich dich rings auf der Flur,

Oede erscheint mir die weite Natur,

Seit dich die Pfeile der Sonne vertrieben.

 

Mit dir entflohen ist Scherzen und Lieben,

Seufzer und Schmerzen, ach! bleiben mir nur,

Tief in der Seele nur lebt noch die Spur,

Selig Erinnern in’s Herz mir geschrieben.

 

Blume der Liebe, o kehre zurück,

Trockne der Sehnsucht schmerzliche Thränen,

Stille des Herzens vergebliches Sehnen!

 

Bringe zurüch das verlorene Glück,

Sonne der Schönheit, du makellose,

Krone der Blumen, holdselige Rose!

 

 

 

Gardinenpredigt

 

I.

 

Wo du als helle Sonne sonst geschienen,

An deine Strahlen meinen Blick gebannt,

Wenn sich mein Gang nach deinem Haus gewandt,

Die Fenster, sind verhängt jetzt mit Gardinen.

 

Denn du wohnst nicht mehr hinter ihnen,

Du weilst in deinem schönen Vaterland,

Dort an der blauen Donau heit’rem Strand,

Wo Lenz und Leben doppelt blüh’n und grünen.

 

Vergessen hast du deinen Hofpoeten,

Der ohne Gegenstand nach Reimen sucht

Und schweigend sieht der Lenzestage Flucht.

 

Du fandest And’re g’nug dich anzubeten,

Entzückt an deinen Reizen sich zu weiden,

Und mir bleibt nur, sie tödtlich zu beneiden.

 

 

II.

 

Die Augen deines Hauses sind geschlossen

Und schlafen, träge, mit betrübten Mienen;

Befranste Augenlider, die Gardinen,

Sie heben sich nur dann und wann verdrossen.

 

Als jüngst ein Regenschauer sich ergossen,

Da hat es mir wahrhaftig schier geschienen,

Als ob die schweren Thränentropfen ihnen.

Vor tiefem Gram hinab zur Straße flossen.

 

Ach, wenn dich todte Dinge so beweinen,

Daß sie in Thränen stehen um dein Scheiden,

Was muß ein lebend liebend Herze leiden?

 

Darf es sich übertroffen seh’n von Steinen?

Nicht Thränen löschen seiner Schmerzen Gluthen,

Er muß an bitt’rer Trennung Leid verbluten.

 

 

III.

 

Nun hat dein Haus die Augen aufgethan;

Mich dünkt, es lächelt stumm mit frohen Mienen,

Seit munter sich gehoben die Gardinen,

Und sein’ und meine Trauer, Traum und Wahn.

 

Sprich, Herz, wer hat dies Wunder denn gethan?

Die Zauberin, die waltet hinter ihnen,

Der alle die geheimsten Kräfte dienen,

Sie kam aus weiter Ferne wieder an.

 

Nun lacht der Himmel heiter über mir,

Die Freude naht, der unschuldfrohe Scherz,

wenn dich mein dürstend Auge wieder sah.

 

Die Sonne ruht mit Liebesstrahl auf dir,

Im Jugendlenztakt schlägt mein altes Herz,

Denn du bist nah’, ja, du bist wieder da!

 

 

IV.

 

Und neu entspringt der Lieder frische Quelle,

An deinem Blick entzündet sich mein Sinn;

Durch bunte Blumenwiesenufer hin

Wallt wieder wohllatathmend Well’ auf Welle.

 

Vor deinem Strahl wird alles Dunkel helle,

Der Schönheit Sonne, Segenspenderin,

Der ew’gen Liebe Heilverkünderin,

Du leuchtest in des Herzens dunkle Zelle.

 

Es hellen sich des Meeres nächt’ge Wogen,

Die stürmisch eben noch bewegten Fluthen,

Sie ruhen still in Gold und Purpurgluthen.

 

Am Himmel glänzt des ew’gen Friedens Bogen,

Und aus der Ferne Silbernebeln steigen

Des Jenseit Ufer und der Sel’gen Reigen.

 

 

 

Die Hecke

 

Ein alter Gärtner pflanzte junge Sprossen,

Den schönen Park gradlinig abzuschließen,

Und als sei munter in die Höhe sprießen,

Schnitt er in gleiche Höh’ die schlanken Schossen.

 

Sonst hat er wohl gepflegt sie und begossen,

Doch will im Lenz ihr Wachsthum sich ergießen,

Läßt gleich die Scheere solchen Vorwitz büßen,

Bis sie als Mauer grün den Park umschlossen.

 

Der Alte starb; die Scheere ruht schon lange,

Und lustig aufwärts streben Ulm’ und Linde,

Der Buchen Triebe wehen frei im Winde.

 

Frisch grünt’s nach Oben, und nach allen Seiten

Die Zweige sich in holder Willkür breiten,

Froh wie ein Volk frei vom Tyrannenzwange.

 

 

 

Der längste Tag

 

O Trauertag!  Von allen Sommertagen

Der längste du!  Nun ist das Ziel erreicht,

Des Frühlings volle Rosenwange bleicht,

Im Hain die Nachtigallen nicht mehr schlagen.

 

Durch alle Blüthenpracht klingt leises Klagen,

Die Rose starb, der keine Blume gleicht,

Der Schönheit hoher Himmelsreiz entfleucht,

Vom Hauch der Sterblichkeit hinweggetragen.

 

Das Herz vestummt, die Liebe selbst muß schweigen,

Kein Lied erklingt, nur stumme Seufzer steigen

Mit Sehnsuchtsblicken auf zum Sternenreigen.

 

in heißen Thränen will mein Selbst zerfließen,

Des Himmels Thore seh’ ich sich erschließen,

Entgegen schwebt mir sel’ger Geister Grüßen.

 

 

 

Lindentraum

 

Wie flieht der Lenz, wie rollt das Sonnenjahr!

Schon, seine letzte Blüthe, blüht die Linde

Und streut die Düfte weit umher im Winde,

Den Traum der Sage weckend wunderbar.

 

Wie steht mir vor der Seele sonnenklar

Der Augenblick, als dem Sieglindenkinde

Die zarte Haut zur harten Hornenrinde

Im heißen Drachenblut gefeiet war.

 

Just sank ein Blatt vom Lindenbaume nieder,

G’rad auf dem Blatt der Schulter blieb es hangen,

Verhindert dort den Schutz der Heldenglieder.

 

Ein fallend Blatt – des Heldenfalles Grund!

Wie Schicksalsspruch klingt aus der Sage Mund:

„Mit Unfall schließt, was Zufall angefangen!“

 

 

 

An die Entfernte

 

Ach, du bist fern und immer bleibst du ferne,

Statt deiner hast du einzig mir gelassen

Die Sehnsucht, die durch nächt’ge Wolkenmassen

Dein Bild mir zeigt, gleich einem Himmelssterne.

 

Wohl säh’ ich dich noch einmal, ach! so gerne;

Doch weißt du denn, ob nicht vorher erblassen

Mich läßt der Tod, den alle Wesen hassen,

Den ich doch selber langsam lieben lerne?

 

Bin ich erst todt, dann wirst du mich beweinen;

Doch wie viel schöner wär’s, ich sollte meinen,

Säh’ ich dich herzlich über mich noch lachen.

 

Denn weinen werd’ ich dich, wenn todt, nicht sehen,

Und kein Sonett auf deine Augen machen,

Ob sie auch voll von Thränen um mich stehen.

 

 

 

Sonnenpfeil

 

Durch Blätterdunkel mitten auf die wange

Hat mir die Sonne einen Pfeil gesandt,

Und heiß in Liebe war mein Herz entbrannt

Vom Gluthenkuß, und träumend saß ich lange.

 

Still war’s umher; von keinem Waldgesange

Erklang der Hain, in Schweigen tief gebannt,

Und wie die Sonne wechselnd kam und schwand,

Erbebte mir die Seel’ in dunklem Drange.

 

Das war der Sommersonne Scheidekuß,

Wie wohl ihr Kind die Mutter innig küßt,

Eh’ sie sich weinend still von dannen schleicht.

 

ein Lebewohl, ein letzter Abschiedsgruß

Der mir des Lebens ernsten Herbst versüßt.

Bis mich des Todes sichrer Pfeil erreicht.

 

 

 

Exodus

 

„So seid gerüstet nun zur Wüstenreise!

Am Fuß die Schuh, den Stecken in der Hand,

Mit festem Gurt geschürzet das Gewand,

Und stehend nehmt des Passah Trank und Speise.

 

Laßt hinter euch Aegyptens Zauberkreise,

Die Töpfe, voll vom Fleische bis zum Rand,

Der Feinde Gold und Silber nehmt zum Pfand,

Bis Wolk’ und Flamm’ euch durch die Wüste weise.

 

Laßt hinter euch die Frohne und die Plagen,

Des Treibers Geißel, die euch wund geschlagen,

Denn eures Bleibens ist nicht länger hier.

 

Ich mach’ euch zum erwählten Volke mir,

Lös’ euch vom Joch, das ihr so lang’ getragen,

Und jauchzend sollt ihr Lob und Dank mir sagen.“

 

 

 

Ewig Leben

 

O heiß ersehntes, ewig Geistesleben!

Nicht mehr vom Schlaf in Trägheit eingewiegt,

Nicht mehr vom Tod des Lebens Kraft besiegt,

Zum höchsten Ziele der Gedanken schweben!

 

Und davor wolltest du, o Seele, beben?

Weißt du nicht, daß ein Ew’ges nie erliegt,

Daß deine Ahnung nimmer dich betrügt,

Und dir unsterblich Götterrecht gegeben?

 

Auf! und vergiß das enge, dumpfe Zagen,

Ergreife fest, was inn’re Stimmen sagen,

Du mußt sie nur für wahr zu halten wagen.

 

Dein Zweifel nur kann ewigkeit dir rauben;

Entreiße dich den Blinden und den Tauben,

Und willst du schauen, mußt du standhaft glauben.

 

 

 

Seelenleid

 

„Wann wir geboren werden, weinen wir!“

Von einer welt voll Weh’ das erste Zeichen;

Die aus dem Paradiese mußte weichen,

Die Seele, ahnt, was sie erleide hier.

 

Verstoßen von der Engel Kreis zum Thier,

Verwiesen aus des Himmels sel’gen Reichen

Zu Wesen, die dem Schöpfer kaum noch gleichen,

Der sie geschaffen zu der Erde Zier,

 

Blieb ihr vom lichten Jenseits nur die Ahnung,

Die heiße Sehnsucht nach dem Vaterland,

Nach Eden, d’raus die Sünde sie verbannt,

 

Und des Gewissens peinvoll bitt’re Mahnung.

Ach! wird sie endlich wiederkehren

Zu jenes reinen Himmels sel’gen Sphären?